Donnerstag, 3. Juni 2010

Zielankunft und Champagnerregen

•Tag: 31
•Etappe: Schwaz - Imst
•Tagesdistanz: 101,33 km
•Höhendifferenz: 204 Meter (Höhe von 546 Meter bis 750 Meter)
•Gesamtanstieg: 379 Meter
•Gesamtabstieg: 209 Meter
•Kalorienverbrauch: 2430 kcal


Es ist vollbracht. Das Ziel ist erreicht, der Weg beendet. Ich bin angekommen. Nach genau 31 Tagen on the road habe ich Imst erreicht. 2000 Kilometer liegen hinter mir, fast 40.000 Kalorien hat mich der Spaß gekostet. Grund genug, statt im Dauerregen mal anständig mit Champagner zu duschen.


Den ganzen Mai war ich nun unterwegs. Einerseits kommt es mir wahnsinnig lang vor, anderseits ist die Zeit nur so verflogen. So viele Erinnerungen sind in meinem Kopf und meinem Herzen gespeichert. Vieles verschwimmt und geht ineinander über, so dass ich froh bin, in diesem Blog jederzeit nachlesen zu können.

Als ich am Morgen erwachte, war ich ein wenig genervt. Schließlich parkte in der Tiefgarage des Hotels noch immer ein Rad, dem bereits vor dem Ziel die Luft ausgegangen war. Beim Frühstück merkte ich dann aber, dass andere noch verzweifelter sind. Der ältere Herr am Nachbartisch, der weder Deutsch noch Tirolerisch beherrschte, strahlte die Kellnerin an und wiederholte immer wieder: "Iiiiisch bin sexy." Die Servierdame war offenbar ähnlich irritiert wie ich, bis uns seine Begleiterin mitteilte, dass ihr Mann wohl dieses Jahr 60 geworden war.

Sprachprobleme - das kenne ich gut, seit ich die Grenze überquert habe. Gut, dass der nette Besitzer des Zweiradcenters in Schwaz trotzdem ein Herz für Neutirolerinnen hat und mein Rad wieder fit machte, auch wenn er sich normalerweise lieber um Motorräder kümmert. Und einen kleinen Einblick in die Mentalität meines zukünftigen Heimatlandes gab es gratis dazu: Was macht ein Deutscher, wenn man ihn bittet, auch die Luft am Vorderreifen zu überprüfen? Er packt seine große Maschine aus, misst den Luftdruck, pumpt etwas nach und kassiert zehn Euro. Und was macht der Tiroler? Drückt einmal auf den Reifen und sagt: "Passt scho."

Gepasst hat es dann wirklich: Die letzten 100 Kilometer nach Hause haben mein Bike und ich ohne weitere Pannen überlebt. Imst hat sich noch etwas gegen meine Ankunft gewehrt und mir heftigen Gegenwind um die Ohren geblasen. Aber nichts und niemand konnte mich mehr bremsen.

Auch in Sachen Radwege sind die Tiroler eher pragmatisch. Sie haben den Inntalradweg größtenteils gleich neben die Autobahn verlegt. So kann man die hübschen Autobahnklos gleich einer Doppelnutzung zuführen.



Gut für meine Blase, schlecht für meine Nerven. Ich drehe hier seit Stunden schon so meine Runden. Herbert Grönemeyer hatte sich offenbar vorgenommen, mich mit einem Ohrwurm auf den letzten Kilometern in den Wahnsinn zu treiben. Und ich wollte doch auf keinen Fall zu spät zu meinem Schatz kommen.

Ein wenig Abwechslung gab es in Innsbruck.

Ich mag diese Stadt, in die es mich fast beruflich verschlagen hätte, bevor ich Martin traf. Manchmal dreht auch das Leben wirklich seltsame Runden.

Die Berge wurden immer gewaltiger und höher und am Wegesrand standen die Heuballen wie Wachsoldaten zwischen den Obstbäumen.





Ein besonderer Moment, als erstmals Imst ausgeschildert war.



Die letzten Kilometer rollte ich durch die Imster Schlucht. Den wild schäumenden Inn unter mir. Endlich hörte der Wind auf, mich zu plagen. Und das ständige Auf- und Ab des Radweges brachte wieder etwas Abwechslung ins Spiel.


Als sich die Bäume lichteten, tauchte plötzlich vertrautes Terrain vor mir auf.



War es wirklich erst im März, als ich hier bei meinem ersten Besuch bei Martin aus dem Zug stieg? Ich habe das Gefühl, ihn bereits Jahre zu kennen und habe eine Klarheit in mir, wie ich sie niemals zuvor hatte. Das hier ist meine Heimat. Der Ort, an dem ich leben und der Mensch, bei dem ich sein will. Nun beginnt also mein neues Leben in Tirol. Viele Dinge sind in den nächsten Wochen zu regeln. Ein Umzug, das Einleben im neuen Zuhause, die ersten Schritte in die Selbstständigkeit, denn ich werde eine kleine, aber feine PR-Agentur gründen. Wenn die Geschäfte wider Erwarten schlecht laufen, kann ich ja immer noch, wie die anderen Migranten, eine Karriere im Erdbeerfeld anstreben.


Gut, dass das Wetter unterwegs ausreichend schlecht war, um meinen Kopf gehörig durchzupusten. Die Themen der letzten Monate sind mindestens so weit weg wie Flensburg und ich habe jeden Tag gespürt, dass ich das Richtige tue. Auch Günni hat in Imst bereits neue Freunde gefunden und hat die regionalen Sitten und Gebräuche fest in sein Leben integiert.



Das Deutschlandtrikot will er allerdings erst nach der Weltmeisterschaft ablegen. Ein bißchen Restpatriotismus muss sein.

Euch allen danke ich dafür, dass Ihr mich auf meiner Tour de Tirol so treu begleitet habt. Eure vielen Mails und Kommentare haben mich so manches Mal motiviert, wenn ich mal wieder im Regen radelte, mich die Berge hoch quälte, im Schlamm feststeckte oder kurz vorm Etappenziel eine Umleitung für weitere zehn Kilometer sorgte. Es hat großen Spaß gemacht, meine Erlebnisse mit Euch zu teilen und mir ist wieder klar geworden, wie gern ich schreibe und dass mir das beruflich in den letzten Jahren sehr gefehlt hat.

Passt auf Euch auf. Bye bye bye und keep on rollin`.

THE END

Sonntag, 30. Mai 2010

Wir sind Tirolerin

•Tag: 30
•Etappe:Bayrischzell - Schwaz
•Tagesdistanz: 121,28 km
•Höhendifferenz: 365 Meter (Höhe von 449 Meter bis 813 Meter)
•Gesamtanstieg: 407 Meter
•Gesamtabstieg: 604 Meter
•Kalorienverbrauch: 3570 kcal


Wir sind Song-Meister. Wir sind Lena. Und wir sind Tirolerin! Es war exakt 14:48 Uhr mitteleuropäischer Sommerzeit als ganz Österreich den Atem anhielt: Die struzzofarbende Radlerin hat die Grenze überquert.




Nun gehöre ich also zu den österreichischen Mitbürgern mit Migrationshintergrund. Naja, noch nicht ganz, aber das ist nur noch eine Formalität. Die Wohnung in Berlin ist gekündigt. Martin und ich machen ernst und werden gemeinsam in Tirol leben. Da ist es doch zumindest sehr beruhigend, dass meine zukünftige Randgruppe seit kurzem die stärkste ist: "Deutsche erstmals größte Ausländergruppe" vermeldete der ORF vor ein paar Tagen.

Expansion scheint ein probates Mittel gegen Andersartigkeit zu sein. Auch diese schrägen Vögel hier, für deren Benennung ich Unwissende wieder Eure Hilfe brauche, setzen auf dieses Mittel, um sich zwischen all den schönen Schwänen am Inn nicht wie die hässlichen Entlein zu fühlen.



Brauchen kann ich sicher jede Menge Unterstützung. Mein Begrüßungskomitee wirkte doch etwas hölzern.



Als Touristin fühlte ich mich eigentlich immer sehr willkommen. Aber auch auf diesem Gebiet scheint es deutlich bergab zu gehen. Offenbar verschrotten die Tiroler jetzt schon ihre Pensionen, bevor sie noch mehr Deutsche ertragen müssen.


Egal, ich bin es gewohnt, dass mir ein kräftiger Gegenwind entgegen bläst.


Heute gehörte er wohl zum Gesamtpaket, das der liebe Gott für mich zusammengeschnürt hatte, um mir das nahende Ende meiner Tour richtig schmackhaft zu machen. Als ich vor einem Monat gestartet bin, war mir klar, dass es nur zwei Möglichkeiten geben wird: Entweder bin ich glücklich, endlich nicht mehr aufs Rad steigen zu müssen oder sehr traurig, dass mich das wahre Leben wieder hat. Momentan spricht alles für Variante 1. Je regrette rien, aber nun langt es auch. Ich freue mich darauf, mein neues Leben aufzubauen, jeden Morgen neben Martin aufzuwachen und ich mag mal wieder etwas anderes anziehen als Radhosen und Trikots.

Um mich darin zu bestärken, wurde dieser Tag, der vorletzte meiner Reise, einer, den man zum Teufel wünscht. Platzregen, Gegenwind und Reifenpannen. Was braucht man mehr für ein furioses Finale?

Die erste Panne ereilte mich bereits im Hotel. Auf den ersten Metern auf dem Rad merkte ich: alles platt. Wie gut, dass Martin und der hilfsbereite Hausmeister den Schaden schnell gerichtet hatten. Und wie ungut, dass das Glück des prall gefüllten Reifens von kurzer Dauer war.

Aber erstmal schien sich der Tag noch zu bessern. Der Regen wurde weniger, auch wenn die Wolken den ganzen Tag tief in den Bergen hingen.


Ich erreichte gegen Mittag den Inntalradweg und wusste, dass ich nun notfalls zu Martin schwimmen könnte.


Als ich auf dem Damm Richtung Österreich rollte, gab es sogar mal blaue Flecken am Himmel.



Sonst kenne ich so schöne Details eher von meinen Beinen, an denen ich seit Wochen Blutergüsse stolz wie Tatoos trage. Seemänner tragen Anker, Radlerinnen blauviolette Tupfenmuster.

Selbst als der nächste Regenguss kam, konnte ich noch lachen.



Das war aber spätestens dann vorbei, als ich kurz hinter Jenbach wieder einen platten Reifen hatte. Aufpumpen war vergeblich. Natürlich Sonntag und kein Radgeschäft weit und breit. Mein einziger Ersatzschlauch hatte schon morgens herhalten müssen und der nächste Gasthof war noch mehr als sechs Kilometer entfernt. So ging ich unter die Wandersleute. Mit 115 Kilometern, die ich bereits in den Beinen hatte, und dem wieder heftig einsetzenden Regen dazu, wirklich kein Vergnügen. Ihr wollt euch das Radfahren abgewöhnen? So funktioniert es garantiert.

Wie froh war ich, als ich endlich den "Goldenen Löwen" erreichte und staunte, wer hier praktiziert.


Die Patientin ist also in den besten Händen. Und morgen ist ein neuer Tag. Gott sei Dank.

Freitag, 28. Mai 2010

Die Entdeckung der Langsamkeit

•Tag: 25
•Etappe:Schliersee - Bayrischzell
•Tagesdistanz: 27,75 km
•Höhendifferenz: 67 Meter (Höhe von 752 Meter bis 819 Meter)
•Gesamtanstieg: 112 Meter
•Gesamtabstieg: 111 Meter
•Kalorienverbrauch: 230 kcal

Heute habe ich einen Rekord gebrochen. Ich war die langsamste Radlerin der Welt mit den meisten Biergartenpausen auf den wenigsten Kilometern. Gott sei Dank hatte dieser Coach heute Ruhetag. Sonst hätte er sicher die Peitsche rausgeholt beim Anblick solch geballter Faulheit.



Aber ich mache das ja nicht zum Spaß. Schließlich bin ich bald Tirolerin. Da wird es wohl Zeit, die Berliner Chicks on Speed-Mentalität zu beerdigen und sich endlich an das berühmte "Tempo" unseres lieben Nachbarlandes zu gewöhnen. Gut Ding will eben Weile haben. Nur so gelingt es der Natur, aus Pilzen große Kunst zu machen.


Mit viel gutem Willen habe ich es zwischen Schliersee und Bayrischzell auf 27,75 Kilometer gebracht und das, ohne das Sechstagerennen rund um den Dorfbrunnen zu simulieren. Diese Leistung war nur zu schaffen, in dem ich mich von Biergarten zu Biergarten gehangelt habe. Insgesamt brachte ich es auf drei solcher Stopps und einen Besuch der örtlichen Metzgerei. Wie gut, dass im letzten Biergarten die Stühle ziemlich pieksten am Po. Sonst wäre ich wohl niemals bei Fritz im Hotel Der Alpenhof angekommen.


Damit wenigstens die Nerven etwas zu tun hatten, galt es, beständig abzuwägen, wie viel Zeit noch vertrödelt werden kann, bevor das Gewitter losbricht. Denn bei schwül warmer Hitze hingen dunkle Wolken in den Bergen. Überhaupt war das Panorama doch sehr beeindruckend: Der Radweg war quasi umschlossen von entsetzlich hohen Bergen und über allem thronte der Wendelstein.






Da ich das vertraute Revier des Bodensee-Königssee-Radwegs für diesen kleinen Ausflug verlassen hatte, war mir das Höhenprofil völlig unbekannt. Ich konnte kaum glauben, dass mich nicht noch ein böser Anstieg von meinem Wiedersehen mit Martin und dem Kennenlernen mit Fritz trennte. Aber siehe da: Wo Berge sind, sind tatsächlich auch Täler und ich rollte sehr entspannt durch die Wiesen rund um die Leitzach, die beruhigend vor sich hin plätscherte.



So entspannt war ich, dass ich auf diverse doofe Ideen kam. Daher landete ich bei einem Fotoshooting für Euch dank des tickenden Selbstauslösers mitten in den Brennnesseln. Das Resultat ist die Veröffentlichung nicht wert, die Quaddeln an meinen nackten Beinen dagegen waren recht eindrucksvoll. Da legst di nieda.



Kurz vor dem großen Platzregen kam ich dann, immer noch entspannt, im Alpenhof an, um mich die nächsten Tage noch mehr zu entspannen. Danke Dir, lieber Fritz, und dem netten Team vom Alpenhof für diese großartige Zeit. Solltet Ihr auch mal Lust haben, auf Luxus, Lifestyle, Lebenslust: Fahrt nach Bayrischzell. Aber ich rate dringend, mindestens eine Alpenüberquerung mit dem Rad vorher einzuplanen, denn nicht nur das von Martin bereits angepriesene Steak tartare verleitet zu Exzessen, die mehr als meine albernen 230 an diesem Tag verbrauchten Kalorien benötigt hätten.

Kein Wunder, dass mein Hintern am nächsten Tag so schwer war, dass der Aufstieg zu diesem tierischen Hausherren beinahe gescheitert wäre.



So stürzt die Radqueen den König der Löwen wohl nicht von seinem Thron. Egal, ich muss ja sowieso weiterziehen. Noch ist Tirol nicht erreicht, aber ich zähle bereits die Stunden.

Dienstag, 25. Mai 2010

Seen sehen

•Tag: 24
•Etappe: Bad Tölz - Schliersee
•Tagesdistanz: 42,33 km
•Höhendifferenz: 201 Meter (Höhe von 681 Meter bis 882 Meter)
•Gesamtanstieg: 471 Meter
•Gesamtabstieg: 423 Meter
•Kalorienverbrauch: 1372 kcal


Wer Seen sehen darf, braucht kein Meer mehr. Mein neues Mantra für nordische Persönlichkeiten im südlichen Exil sagte ich innerlich den ganzen Tag auf, während ich sehr sehr langsam Richtung Tegern- und Schliersee rollte. Am Ende meiner Tage als Zigeunerin werde ich doch tatsächlich noch zur Genussradlerin. Brav halte ich mich an die mir auferlegten Kilometerbegrenzungen und liege bereits seit dem Nachmittag am Ufer des Schliersees in der Sonne herum.

Wie ungewohnt, Euch im Hellen zu Schreiben, statt wie üblich eine Nachtschicht einzuschieben. Und hell ist es wirklich heute. Die Bayrische Flagge flatterte im warmen Sommerwind und auch wenn Prinz Luitpold, wenn er es denn ist, etwas streng guckt, kann man mit Petrus momentan echt nicht meckern.




Schon wieder hatte er Gnade mit mir, so dass ich mich auf freier Strecke aus- und das absolute Sommerkeineärmelmittagshitzetrikot angezogen habe. Leider habe ich nicht bedacht, dass es sinnvoll gewesen wäre, auch noch die Sonnencreme rauszukramen, so dass ich jetzt zwar nicht bayrisch blauweiß, aber immerhin ganz wunderbar rotweiß gemustert bin. Passt doch zu den karierten Tischdecken und anderen einheimischen Dekorationselementen.



So erreichte ich gegen Mittag den Tegernsee und musste schwer an mich halten, dass ich mich nicht gleich in die Fluten stürzte.



Nur die Androhung meines Radführers, dass mich nach der Pause am Seeufer eine 18-prozentige Steigung erwarten würde, verhinderte die Tiefenentspannung. Sogar zum Einkaufen fand ich keine Ruhe, obwohl es hier die entsprechenden Utensilien für Nachwuchstirolerinnen gab.



Oben angelangt, lauerte die nächste Gefahr. Ich kreuzte einen Golfplatz.



Und? Was, bitte schön, soll ich dagegen tun, außer den Helm aufzulassen? Ich kann ja schlecht über den Boden robben, um der Flugbahn der kleinen Bälle auszuweichen. Ich vermelde trotzdem glücklich: kein Einschlag. Kopf noch auf den Schultern und ganz. Das freut mich auch, lieber Martin, aber ist so eine Liebeserklärung mitten auf dem Green nicht trotzdem ein wenig unangemessen? Das wäre doch nicht nötig gewesen.



Schmusetigermädchen sind offenbar auch diese Kühe und wenn ich mir ihr Nasenpiercing so anschaue, nehme ich an, dass sie sonst eher in der Berliner Retropunkszene unterwegs sind.



Nach dieser Begegnung, wie ich sie sonst eher auf dem Alexanderplatz habe, näherte ich mich in einer rasanten Abfahrt dem Schliersee.



Das Wasser glitzerte verlockend in der Sonne und ich war sehr froh, dass ich mich zur Feier des Tages im Seehotel Schliersee einquartiert hatte. Ab an den Strand. Gut für mich und meine Sommersprossen. Und gut für Euch, denn nach den ewigen Radlerfotos gibt es jetzt endlich ein Bikinibild. ;-)




Auch Günni chillt offenbar ganz gern am See und genießt die ungewohnte Bergluft.



Ich glaube, er ist auf dem besten Weg ein echter Bergfex zu werden. Damit er sich gut eingewöhnt, bekommt er nun ein paar Tage Höhentraining im Alpenhof in Bayrischzell. Lesen Sie den nächsten Teil der Tour de Tirol am kommenden Samstag.


Montag, 24. Mai 2010

Probier´s mal mit Gemütlichkeit

•Tag: 24
•Etappe: Bad Kohlgrub - Bad Tölz
•Tagesdistanz: 62,40 km
•Höhendifferenz: 264 Meter (Höhe von 601 Meter 866 Meter)
•Gesamtanstieg: 327 Meter
•Gesamtabstieg: 523 Meter
•Kalorienverbrauch: 1214 kcal

Aufwachen in Martins Armen. Rumtrödeln bis Mittags, denn immerhin war noch Feiertag und Ihr fleht mich ja täglich an, etwas langsamer zu fahren. Der Tag versprach, ein sonniger zu werden. Als ich endlich auf dem Rad saß, knallte die Sonne vom blauen Himmel und Temperaturen um 30 Grad ließen mich ordentlich ins Schwitzen kommen. So hatte ich mir das mal vorgestellt zu Beginn meiner Tour. Zum ersten Mal mit kurzen Ärmeln, zum zweiten Mal in kurzen Hosen. Da hatte ich die Sonnencreme doch nicht ganz umsonst fast 2000 Kilometer durch Deutschland gekarrt.

Die nächsten Tage werde ich etwas ruhiger machen. Denn am Mittwoch Abend treffen Martin und ich in Bayerischzell seinen lieben Freund Fritz in seinem wunderbaren Hotel, dem Alpenhof. Zu Beginn meiner Reise hatte Fritz uns dorthin eingeladen und ich freue mich seitdem darauf, ihn persönlich kennenzulernen und eine gute Zeit dort zu verbringen.

Probier´s mal mit Gemütlichkeit. Ein wenig mehr Gelassenheit passt hier ganz gut in die Landschaft. Nicht nur die Kühe sind viel entspannter als ihre norddeutschen Verwandten, die bei meinem Anblick oft rumhüpften, als wären sie Rinderwahnpatientinnen. "Auf den nächsten drei Kilometern können Ihnen frei laufenden Kühe begegnen", warnte mein Radführer. Ein Satz, bei dem ich im hohen Norden vorsorglich mein Testament verfasst hätte. Diese Dame hier genießt ihr Leben in Freiheit und interessiert sich nicht für struzzofarbene Radlerinnen. Vielleicht ist sie vom Klang ihrer eigenen Glocke hypnotisiert.



Nein, ich glaube, es liegt daran, dass die Kirchen in Oberbayern etwas weißer, die Berge etwas höher und nicht nur das Gras etwas grüner ist als anderswo.







Doch auch die Farbe der Hoffnung kann einem gehörig auf den Geist gehen. Jedenfalls würde es mir in diesem Haus so gehen. Wo man vor lauter Bäumen den Himmel nicht mehr sieht.




Katzen scheinen beim Anblick von viel Grün offenbar eher rot zu sehen. Sie werden zum Tier, statt sich der bayrischen Gemütlichkeit hinzugeben.





Auf mich dagegen wirkt die Umgebung sehr beruhigend. Im Biergarten des Klosters Benediktbeuern schwelgte ich in meinen geliebten Marillenknödeln.







Vielleicht betrieb ich aber auch nur Mimikri, denn in seiner Stadt schlug ich mein Nachtlager auf.

P.S.: Dass es auch gesund ist, etwas langsamer zu machen, wurde mir heute sehr drastisch vor Augen geführt. Einer meiner Radlerkollegen, von denen an diesem sonnigen Pfingsttag diverse Wochenendfahrer unterwegs waren, wurde mit dem Rettungshubschrauber abgeholt. Keine Ahnung, was genau passiert ist, aber ich hoffe sehr, dass es ihn nicht so schlimm erwischt hat, wie es die Umstände vermuten lassen.

Gipfelglück im Alpenvorland

•Tag: 21
•Etappe:Landsberg am Lech - Bad Kohlgrub
•Tagesdistanz: 91,27 km
•Höhendifferenz: 358 Meter (Höhe von 569 Meter 927 Meter)
•Gesamtanstieg: 892 Meter
•Gesamtabstieg: 579 Meter
•Kalorienverbrauch: 1906 kcal


Man sollte immer eine Falsche Prosecco in der Gepäcktasche haben. Das dachte ich mir, als ich hinter einem kleinen Hügel zum ersten Mal in der Ferne die Alpen erblickte. Was für ein Moment. Drei Wochen ist es her, dass ich in Berlin in den Zug nach Flensburg stieg. Und nun lagen sie vor mir: die Berge, die nun bald meine Heimat sein werden.


Vor Rührung schossen mir die Tränen in die Augen. Wie viele Kilometer hatte ich zurückgelegt, um das zu sehen. Wie viele schöne Momente, wie viele kleine Katastrophen erlebt. In meiner Erinnerung verwischen die vielen Orte, die ich gesehen habe, die vielen Hotelzimmer, in denen ich geschlafen habe. Mein Gefühl für Entfernung hat sich komplett verändert. Allerdings in eine Richtung, die ich zuvor nicht vermutet hätte. Waren 400 Kilometer bisher eine weite Reise für mich, sind sie nun "nur" vier Tagesetappen mit dem Rad. Ich habe Deutschland durchquert, habe es "erfahren" im wahrsten Sinne des Wortes, habe seine Dimensionen vermessen.

Endlich hatte ich sie: die Almwiesen, die ich mir am Vortag so herbeigesehnt hatte. Wieder, wie im hohen Norden, sah ich gelb. Nur waren es dieses Mal keine Rapsfelder, sondern Wiesen voller Butterblumen.


Und wie Herzrasen in Wahrheit aussieht, weiß ich nun auch.


Begonnen hatte der Tag aber noch nicht ganz so rosarot. Auch wenn ich extra, um die Laune zu bessern und die kalten Öhrchen zu wärmen, meine rosarote Mütze aufgesetzt hatte.


In Landsberg war es immer noch am Nieseln. Für die ersten 30 Kilometer bot mir mein Radführer zwei Varianten an: östlich oder westlich des Lechs. Ganz gegen meine Gewohnheiten entschied ich mich für den längeren Weg, weil mir bei der anderen Strecke irgendwie komisch zu Mute war, als ich von einer steilen Abfahrt las, die gute Bremsen erfordern würde. Schicksal? Keine zwei Stunden später saß ich mitten im Wald als ich feststellte, dass meine Bremsen nicht mehr griffen. Zum ersten Mal wurde ich zum Garagegirl, was dazu führte, dass Martin mir meinen verschmähten Fleckenteufel "Kettenschmiere" wieder mitbringen musste.

Irgendwie gelang es mir, die lockeren Teile wieder festzustellen. Ein netter Mountainbiker warf noch einen männlichen Blick mit technischem Sachverstand darauf und ermutigte mich, weiterzufahren. Gott sei Dank machte ich doch noch einen Boxenstopp im nächsten Ort. Bremsklötze hinten platt, Bremsen gelockert, Schaltung verstellt, Luft zu knapp und Kette völlig trocken. Für sensationelle 20 Euro wurde mein Rad wieder flott für die Alpen gemacht. Man quält sich doch noch mehr, die Berge hinauf, wenn das Rad dabei quietscht und jammert. Endlich lief wieder alles rund und just in diesem Moment tat sich ein blaues Loch am Himmel auf.


Gut so, denn ich konnte jede Menge Motivation gebrauchen. Zwischen mir und der Wieskirche, der berühmtesten Wallfahrtskirche Bayerns, lagen noch diverse Berge. Zum ersten Mal knackte ich fast die 1000 Höhenmeter.

Und in so christlicher Umgebung geht man offenbar davon aus, dass Radler über Wasser gehen können. Wie sonst kann man sich erklären, dass der Bodensee-Königssee-Radweg mitten durch dieses Flussbett geht? "Tragen Sie Ihr Rad am Besten durch das Gewässer", empfiehlt der Radführer dazu. Ja, sind die denn alle deppert? Mein Rad sollte mich tragen, weil es mit nassen Reifen deutlich besser leben kann als ich mit nassen Füßen. Trotzdem kam ich ums Waten nicht herum. Kneipp lässt grüßen.


Oben angelangt saugte ich die barocke Pracht in mich auf und da die katholischen Einflüsse, die meine liebe Patentante in meine Erziehung eingebracht hat, nicht ganz verpufft sind, fand ich, dass es wohl an der Zeit war, ein paar Kerzen anzuzünden: Für meine Mama, an die ich so oft denke unterwegs. Für meinen Schutzengel, der so gut auf mich aufgepasst hat auf meinem Weg. Und für Martin und mich und unsere Liebe, die mich nun zur Exilberlinerin und Wahltirolerin machen wird.




P.S.: Auch die deutsche Nationalmannschaft hat sich offenbar Richtung Wieskirche aufgemacht, um den Ballack-Schock im Gebet zu verarbeiten. Der WM-Bus sah allerdings in den Vorjahren deutlich besser aus. Ist eben doch viel Schrott unterwegs Richtung Südafrika.